Warum Lautern nicht wie Freiburg sein kann – oder doch?
„Wenn andere Klubs lobend über Freiburg sprechen, dann wollen sie das Freiburger Ergebnis. Sie wollen aber nicht den Weg gehen, um dorthin zu gelangen.“ Der Satz stammt von Robin Dutt, ehemaliger Trainer des SC. Gesagt hat er ihn in einem höchst lesenswerten Interview im Sommer diesen Jahres, als er noch Coach des VfL Bochum war. Beim 1. FC Kaiserslautern kandidiert Martin Weimer am 1. Dezember für den Aufsichtsrat. Der 59-jährige Bankkaufmann war einst Vorstandsmitglied des SC Freiburg. Ob mit ihm ein wenig Schwarzwaldflair in den Pfälzer Wald weht? Schön wär’s. Wir haben uns mal „Bundesliga anders“ zu Gemüte geführt, das neue Buch von Christoph Ruf, das sich mit dem Phänomen SC Freiburg auseinandersetzt – und festgestellt: Die Dreisam ist ein wunderbarer Inspirationsquell.
Der SC Freiburg hat rund 17.000 Mitglieder, entspricht also ungefähr der Größenordnung des FCK. Die Stadt liegt in einer strukturschwachen, von der Großindustrie gemiedenen Region, wie Kaiserslautern. Einen potenten Investor hat der SC noch nicht gefunden, sucht ihn auch nicht, dafür wird er von rund 230 mittelständischen Sponsoren getragen – zu dieser Zahl müsste sich der FCK noch ein wenig strecken, aber das könnte die„Zukunftsinitiative“ noch richten.
Rund 24.000 Zuschauer kommen im Schnitt zu Heimspielen des SC, die hat der FCK noch als Zweitligist locker geschafft. Bei der Vergabe der Stadiongastronomie verwahrt sich der Klub weiterhin beharrlich gegen „Fraß vom Systemcaterer“, statt dessen gibt‘s Wurst von heimischen Metzgern, auch französische Merguez, die der Badenser ungefähr so liebt wie der Pfälzer seine „Härting“.
KONTROLLE UND GESCHÄFT SIND AUCH BEIM SC NICHT SAUBER GETRENNT
Über die Mitgliederversammlungen des SC Freiburg hat die Regionalzeitung schon mal geschrieben, sie wären „konfliktfreudig wie ein SED-Parteitag“, weil die harmoniesüchtigen SC‘ler einfach alles abnicken. „Ich werde nicht zulassen, dass wir in Freiburg Zustände wie in Kaiserslautern, wie bei den Münchner Löwen oder gar dem Hamburger SV bekommen“, denn dort wären „die Aufsichtsräte zu mächtig“, wird der langjährige Vereinsvorsitzende Fritz Keller zwar zitiert. Doch auch er ist im Oktober 2018 mit breiter Zustimmung quasi entmachtet worden.
Seitdem gibt auch beim SC nur noch zwei geschäftsführende Vorstände, und wenn die sich uneins sind, entscheidet nach einer entsprechenden Satzungsänderung nun die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden – eigentlich ein Unding, weil dadurch ja ein Mitglied des Kontrollgremiums im operativen Geschäft tätig wird. Eine derart unselige Verquickung kennt man durchaus auch in Kaiserslautern, nur: In Freiburg hat diese Konstellation bislang keinen Schaden angerichtet.
NICHT DIE STRUKTUREN, DIE MENSCHEN MACHEN DEN UNTERSCHIED
Im Grunde also sind sich beide Vereine ähnlich. Dennoch gelingt es dem SC Freiburg seit Jahren, sich im längst übergeschnappten Fußballbusiness weiterhin glänzend zu behaupten, während der 1. FC Kaiserslautern sich fortwährend im Sinkflug befindet. Aktuell steht der SC auf Platz 4 der Bundesliga, punktgleich mit Leipzig und den Bayern. Und der FCK? Reden wir nicht drüber, nicht heute.
Aber warum ist das so?
Auf ihren Kern zusammengefasst, lautet die Antwort, die sich nach der Lektüre von Christophs Rufs „Bundesliga anders“ geben lässt: Es sind nicht die Strukturen, die einen Verein besser und schlechter machen, sondern es sind die Menschen, die diese Strukturen mit Leben füllen.
Lautern hat derzeit bekanntlich noch einen Banf, einen Bader, einen de Buhr, einen Klatt – und seit Jahren keinen Trainer, dem länger als ein paar Monate Zeit gegeben wird, so etwas wie eine eigene Spielidee auf dem Platz zu etablieren.
EIN TRIUMVIRAT, DAS MIT VEHEMENZ AN EINEM STRANG ZIEHT
Freiburg dagegen hat Sportvorstand Jochen Saier, Sportdirektor Klemens Hartenbach und Trainer Christian Streich, ein über Jahre gewachsenes Triumvirat, das seit Jahren mit Vehemenz an einem Strang zieht und in dem niemand ein Problem damit hat, dass allein der Coach das Gesicht des Vereins ist. Hartenbach und Streich haben bereits als Studenten gemeinsam in einer WG gehaust.
Und alle drei haben bereits Leitungsfunktionen in der Freiburger „Fußballschule“ ausgeübt, die partout nicht „Nachwuchsleistungszentrum“ genannt werden will. Und in der Jungkicker, wenn die Schulnoten nicht stimmen, auch schon mal vom Trainingsbetrieb suspendiert werden, damit sie mehr Zeit zum Lernen haben, denn das mit „Fußballer formen“ auch „Menschen formen“ einher geht, ist in Freiburg ebenfalls Teil der Einstellung zu den Dingen – die hochtrabende Vokabel „Philosophie“ hört man hier nämlich auch nicht so gerne. Mit Finanzvorstand Oliver Leki hat sich das Trio mittlerweile sinnvoll zu einem Quartett ergänzt.
„Der SC Freiburg“, schreibt Ruf, „dürfte das weltweit einzige Unternehmen mit über 100 Millionen Euro Jahresumsatz sein, bei dem einer der vier wichtigsten Protagonisten“ – gemeint ist Sportdirektor Hartenbach – „ohne jede Ironie von einem kleinen, familiären Betrieb spricht.“
IM FOKUS: JUNIOREN MIT „WILLE“ UND TOPSPIELER DER ZWEITEN LIGA
Und was tun diese Menschen nun im Einzelnen, dass ihre Arbeit so meilenweit über das hinaushebt, was in den vergangenen Jahren in Kaiserslautern geleistet wurde?
In der verkürzten Darstellung liest sich das eigentlich recht banal: Sie betreiben Nachwuchsausbildung und -weiterentwicklung intensiver als alle anderen, und generieren so am Transfermarkt regelmäßig fette Gewinne, die die Verantwortlichen wiederum nur mit viel Sinn und Verstand reinvestieren, so, als wäre es ihr eigenes Geld.
Das Augenmerk liegt dabei auf Junioren, bei denen mehr Wille als Talent zum Tragen kommt, denn die wirklich Hochbegabten werden ohnehin ja schon als 16-Jährige von den Geldvereinen einkassiert. Und auf Topspielern der Zweiten Liga bis 23 Jahre. So sind unter anderem auch die Lauterer Gewächse Robin Koch und Dominique Heintz in Freiburg gelandet, Heintz nach einem Umweg über den 1. FC Köln.
40 MILLIONEN TRANSFERERLÖS FÜR ZWEI KICKER – DAS SIND SUMMEN
Beispiele für Gewinnmaximierung? Im Sommer 2017 veräußerten die Freiburger ihr Eigengewächs Maximilian Philipp für 20 Millionen Euro nach Dortmund, im Sommer 2018 den Innenverteidiger Caglar Söyüncü, den sie zwei Jahre zuvor für 2,65 Millionen aus der Türkei geholt hatten, für 21 Millionen zu Leicester City.
Das sind Summen, mit denen sich finanzielle Absicherung schaffen lässt. Während sich anderswo ein Traditionsverein von einem Investor abhängig machen will, der von 25 Millionen Euro in fünf Jahren redet, bislang aber noch keinen Euro fließen ließ…
Der teuerste Einkauf? 2019 holte der SC Vincenzo Grifo für sieben Millionen Euro von Hoffenheim. Interessant: Den gleichen Spieler hat der Klub 2017 schon mal nach Gladbach verkauft – für sechs Millionen Euro. Unter diesen Umständen sah man in dem neuerlichen Transfer wohl zurecht kein großes Risiko.
„MECHANISMEN DES GESCHÄFTS“? DRAUF GEPFIFFEN
Zudem pfeifen die Freiburger auf die berühmten „Mechanismen des Geschäfts“, die nichts anderes meinen, als dass in sportlichen Talsohlen zuerst der Trainer über die Wupper zu gehen hat. Volker Finke trainierte den SC anderswo unvorstellbare 16 Jahre lang. Christian Streich ist seit 2011 im Amt. Dazwischen coachte vier Jahre lang Robin Dutt. Lediglich mit Marcus Sorg verpflichtete der Klub zwischenzeitlich mal einen Trainer, der nicht so recht ins Schwarzwaldidyll passte.
In Freiburg wird eben nicht „von Spiel zu Spiel gedacht“, sondern in Zyklen, auf Höhenflügen wird auch schon die nächste Abwärtsbewegung mit einkalkuliert. „Abstieg ist bei uns kein Worst-Case-Szenario“, zitiert der Autor Sportvorstand Saier. „Das kann ganz schnell gehen. Kleinigkeiten gehen schief, schon bist du abgestiegen. Es geht dann halt darum, die Voraussetzungen zu haben, schnell wieder aufzusteigen.“
DIE ERBVERWALTER VON FINKE UND STOCKER
Und: Die aktuelle Führungsriege führt ein Werk fort, das in den 1990er Jahren begann, mit dem Trainer Volker Finke und dem mittlerweile verstorbenen Präsidenten Achim Stocker begann. Wobei sie gar nicht mal versucht, alles genau so weiterzuführen wie ihre Vorgänger, sie passt sich vielmehr immer wieder den neuen Gegebenheiten an. Die Alphatiere Finke und Streich etwa sind sich, obwohl in der gleichen Welt sozialisiert, gar nicht mal sonderlich grün, haben aber mittlerweile, so Ruf, zu einem „entspannten“ Umgang miteinander gefunden, wenn sie sich über den Weg laufen.
Dazu kommt ein Spielerkader, in dem bei aller Fluktuation immer auch ein fester Kern bestehen bleibt, der stets in Treue fest zum Trainerteam steht, so dass einzelne, unzufriedene Spieler niemals nachhaltig Missstimmung verbreiten können. Kapitän Mike Frantz und Torjäger Nils Petersen etwa laufen bereits im sechsten, beziehungsweise fünften Jahr für den SC auf.
ALLE REDEN VON KONTINUITÄT, FREIBURG LEBT SIE
So ist unterm Strich etwas entstanden, was jeder deutsche Profiklub zwar als erstrebenswert erachtet, was es jedoch außer in Freiburg nirgends zu geben scheint: Kontinuität. Ein Schwarzwaldidyll eben.
Auch wenn in „Bundesliga anders“ immer wieder eine gesunde Skepsis durchschimmert, ob sich nicht vielleicht doch einmal die düstere Prophezeiung des Trainers Streich erfüllt, dass „der Gott des Geldes, der Mammon,“ dereinst „alles verschlingen“ werde. Im Werben um die Topspieler der Zweiten Liga etwa zieht selbst der aktuelle Bundesligavierte sogar gegen englische Unterhäusler immer häufiger den Kürzeren.
FEHLT WAS? JA: DER „DRECK UNTERM FINGERNAGEL“
So ganz ohne ironische Brechung vermag Christoph Ruf, der mit „Fieberwahn“ eines der herausragenden Fußballbücher der jüngsten Zeit geschrieben hat, dieses Idyll allerdings nicht zu schildern. Ein Kapitel erzählt vom Social Media-Aktivisten Sven Metzger, dem es einfach zu viel heile Welt in Freiburg war und der darum – das ist jetzt, zugegeben, für Lautrer schwer zu verkraften – zum SV Waldhof Mannheim übergelaufen ist. Ihm habe, so wird Metzger zitiert, „der Dreck unterm Fingernagel“ gefehlt.
Dreck unterm Fingernagel? Nun, der wäre auf den Kartoffeläckern der Pfalz reichlich zu haben. Und auch, wenn sich das Schwarzwaldidyll sicher nicht 1:1 nachbauen lässt, als Inspiration kann es auf jeden Fall dienen. Martin Weimer muss sie ja nicht allein auf den Betzenberg tragen. Robin Dutt etwa ist aktuell wieder auf dem Markt – der könnte durchaus auch „Geschäftsführer Sport“.