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Ciri, wir wissen, wie gut Du auch als Trainer bist
Normalerweise werden Länderspielpausen in diesem Blog für Statusberichte genutzt, die die letzten vier, fünf Wochen zusammenfassend betrachten, um negative oder positive Entwicklungen auszuloten. Aber mal im Ernst: Interessiert sich noch irgendjemand für die Partien des 1. FC Kaiserslautern gegen Kiel, Sandhausen, Aue oder Berlin? Eben. Drum lassen wir Zäsur diesmal Zäsur sein – und widmen uns jemandem, über den in den vergangenen Wochen mal wieder viel geredet wurde. Wieder einmal suchte der FCK einen Trainer, und wieder einmal wurde Ciriaco Sforza gehandelt… Diesmal aber war es anders als die letzten Male.
Die Schweizer FCK-Ikone, Kopf der legendären Meistermannschaft von 1998, war tatsächlich bis zum Schluss in der Verlosung, musste verschiedenen Medien zufolge erst in den finalen Gesprächen Jeff Strasser das Feld überlassen. Ebenso fiel die Einstellung zu seiner Person in den Fanforen auf: Zählte der einstige Mittelstratege früher stets zu einem der Wunschkandidaten das Anhangs, wenn ein Trainer gesucht wurde, begegnete ihm der Mainstream dieses Mal mit deutlich gewachsener Skepsis. Tenor: Er mag ein großer Spieler gewesen sein, aber als Trainer hat er doch nie was auf die Kette gekriegt… Tatsächlich?
Da wir in diesem Blog immer etwas genauer hinschauen wollen, möchten wir dies jetzt auch in seinem tun. Dabei geht es, und das sei ausdrücklich betont, nicht darum, dafür zu plädieren, dass Sforza die bessere Wahl gewesen wäre als Strasser, sondern um so etwas wie eine Ehrenrettung für einen Geschmähten. Denn gerade der Anhang dieses Vereins sollte einem Ciriaco Sforza besonderen Respekt schuldig sein.
DAS VORURTEIL VOM „STINKSTIEFEL“ – GRÜSSE AN ROLEX-KALLE
Sforzas Einstieg ins Trainergeschäft vollzieht sich 2006, und das recht überstürzt. Er hat seine Spielerkarriere gerade beendet, beim 1.FC Kaiserslautern, bei dem er zwei Jahre zuvor ein drittes Mal angeheuert hatte. Trainer Michael Henke hat ihn nach dem neunten Spieltag suspendiert, weil Sforza bei Vereinsboss René C. Jäggi die Arbeit des Coachs kritisierte – und prophezeite, dass die Mannschaft mit diesem Übungsleiter absteigen werde. Vier Wochen später fliegt Henke, Wolfang Wolf übernimmt, doch der mag Sforza nicht rehabilitieren: Der spalte die Mannschaft, erklärt er bereits bei seiner Vorstellung.
Wie intensiv Wolf sich mit den Hintergründen des Falls bis dato befasst hatte, ist nicht bekannt, ein Gespräch mit Sforza scheint es jedenfalls nicht gegeben zu haben. Am Ende dieser Spielzeit steigt der FCK in die Zweite Bundesliga ab. Und Jäggi gibt kurz vor seinem eigenen Abgang zu Protokoll: „Man muss im nachhinein sagen, dass Sforza mit allem Recht hatte.“
Die Episode ist deswegen bezeichnend, weil sie viel von dem Widersinn verrät, mit dem Typen wie Sforza in diesem Geschäft seit jeher betrachtet werden: Die Trainer fordern „mündige“ Spieler, aber wenn der mündige Spieler ihre Meinung nicht teilt, servieren sie ihn ab, selbst um den Preis, dadurch die eigene Mannschaft zu schwächen. So dumm ist freilich nicht jeder gewesen: Schon zu Zeiten Otto Rehhagels war Sforza mit dem Meistertrainer aneinander gerasselt, dieser aber hatte ihn generöser Weise begnadigt, des sportlichen Erfolges Willen.
Im Zusammenhang mit Sforza fällt schnell auch der Begriff „Stinkstiefel“. Karl-Heinz Rummenigge hat ihn mal benutzt, Sforzas ehemaliger Chef bei Bayern, der bis heute bei der Bewertung von Menschen selten angenehm auffällt. Das Wortpärchen Sforza und „Stinkstiefel“ im sportjournalistischen Sprachgebrauch zu etablieren, ist ihm eigenartiger Weise dennoch gelungen. „Ich war in meiner Münchner Zeit drei Mal mit Rummenigge essen, da hätte er mir das auch mal ins Gesicht sagen können“, erklärt Sforza später in der „Bild“ dazu. Dem ist nichts hinzufügen.
ERSTE TRAINERSTATION: LUZERN – „YES, GO, MACHEN!“
Im Sommer 2006 setzt sich Sforza direkt nach seinem Abgang als aktiver Spieler beim Schweizer Erstligisten FC Luzern auf die Trainerbank, erwirbt parallel dazu Fußballlehrerlizenz an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Köln. Ob das nicht ein wenig überstürzt war, wird Sforza Jahre später vom „Tages-Anzeiger“ gefragt. „Was ist schon richtig, was ist falsch? Damals dachte ich: yes, go, machen!“ antwortet er. „Ich war unerschrocken und sah halt eine Chance . . . Mit dem Wissen von heute würde ich eine Stufe weiter unten beginnen.“
Dabei läuft es eigentlich recht gut. In der ersten Saison wird Sforza mit Luzern Achter, in der zweiten Sechster, was dem Anspruch des Klubs durchaus gerecht wird. Er erhält Lob, weil er junge Spieler in die Stammelf einbaut und guten Fußball spielen lässt. 2006/2007 erreicht Sforza mit Luzern sogar das Finale des Schweizer Pokals, wo sein Team dem ewigen Favoriten FC Basel knapp mit 0:1 unterliegt. Um ein Haar wäre ihm also sogar ein echter Coup geglückt… Von „nix auf die Kette gekriegt“ kann da wohl nicht die Rede sein.
Zu Beginn der Saison 2008/2009 allerdings wird Sforza nach fünf Meisterschaftsspielen, in denen er nur einen Punkt holt, entlassen. Die „Mechanismen des Geschäfts“ greifen eben auch in der Schweiz. Dass Luzern später versuchen wird, Sforza ein zweites Mal zu verpflichten, zeigt, dass er dort wohl keine verbrannte Erde hinterlassen hat.
STATION ZÜRICH: „ICH TRUG ALLES MIT UND RIEB MICH AUF“
2009 heuert Sforza bei Grashoppers Zürich an, dem Verein, bei dem er einst als Jugendspieler hervorging – entdeckt vom damaligen Co-Trainer Kurt Jara, unter dem er später auch in Kaiserslautern aufläuft. Im ersten Jahr wird Sforza mit Zürich Dritter – durchaus ein Erfolg für den Klub. Im Sommer darauf scheitert er in der Euro-League-Qualifikation erst im Elfmeterschießen an Steaua Bukarest. Zu Sforzas Kader im Erfolgsjahr zählte übrigens auch ein gewisser Jeff Strasser, dessen Karriere sich zu dieser Zeit aber bereits dem Ende zuneigt: Der 34-jährige bringt es nur auf zehn Einsätze.
Anschließend vollzieht sich in Zürich eine Entwicklung, die man auch bei einem ganz bestimmten Verein in Deutschland erleben durfte. Der Klub ist permanent in Geldnöten, in diesem Sommer und im Sommer darauf kommt es zu tiefgreifenden personellen Umbrüchen, immer wieder werden Spieler teuer verkauft und nur wenig in Nachfolger investiert. Unter anderem gehen Leute wie Bobadilla, Seferovic, Zarate, Ben Khalifa.
Der sportliche Niedergang folgt auf dem Fuß, Sforza vermag ihn nicht zu stoppen. „Ich hätte mich gegen die Clubleitung wehren müssen“, sagt er später dem Tages-Anzeiger. „Okay, ihr verkauft die Besten, dann gehe ich auch. Oder ihr holt Neue. Ich trug aber alles mit und rieb mich enorm auf. Am Ende war die Trennung eine echte Erlösung.“ Im April 2012 war es soweit.
Sforza fällt in ein tiefes Loch, zumal auch private Belastungen hinzukommen, etwa eine gescheiterte Ehe. „Meine Gefühlswelt war völlig durcheinander. Ich spürte Enttäuschung, auch eine totale Leere. Es gab Nächte, da erwachte ich immer um 2 Uhr schweissgebadet, wieder kamen Tränen, aber wieder wusste ich nicht, warum genau.“ Er nimmt therapeutische Hilfe in Anspruch.
NEUSTART IN WOHLEN: „ALLES GEZEIGT, WAS EIN TRAINER KÖNNEN MUSS“
Erst im Januar 2014 fühlt er sich bereit für eine neue Aufgabe. Für sein Comeback wählt er abermals einen „Herzensklub“, den Schweizer Zweitligisten aus Wohlen, dem Ort, in dem er geboren wurde. In nur einem Jahr führt er den notorischen Abstiegskandidaten an die Spitze der „Challenge League“, lehnt in der Winterpause ein Angebot des Erstligisten Luzern ab, weil er seine Mannschaft mitten in der Entwicklung nicht im Stich lassen will. Den Aufstieg verpasst er nur knapp, Wohlen wird Dritter. Und das mit einem Lizenzspieleretat von knapp zwei Millionen Euro, der selbst für Schweizer Zweitligaverhältnisse lächerlich ist.
Im Sommer 2015 macht Sforza in Wohlen Schluss, auch, weil er in dem Kleinstadt-Klub keine Möglichkeit mehr zur Weiterentwicklung sieht. „Sforza hat in wenigen Monaten alles gezeigt, was ein Trainer können muss“, kommentiert Flurin Clalüna, Sportredakteur der Neuen Züricher Zeitung, die Wohlener Zeit des „exzentrischen Karrieristen“. Von wegen „nix auf die Kette gekriegt“…
LETZTE AUSFAHRT THUN: EIN EXPERIMENT ENDET NOCH IN DER PROBEZEIT
Dass sein anschließendes Engagement beim FC Thun nur drei Monate währt, zementiert das – eigentlich nicht haltbare – Vorurteil, dass man nirgendwo lange mit ihm klarkommt, vollends. Dabei mutet Sforzas Engagement in Thun von vorneherein merkwürdig an, wird verschiedentlich als „Experiment“ bezeichnet, was der Verein selbstredend dementiert. Dabei ist es doch bezeichnend, dass in Sforzas Vertrag eine Probezeit festgeschrieben wird: Nach sechs Monaten darf ihm gekündigt werden, ohne dass Ansprüche entstehen. Als in Thun nach zehn Runden nur zwei Siege und sieben Niederlagen zu Buche stehen, zieht der Verein diese Option dann auch prompt. Und beide Seite betonen, dass nicht die sportliche Situation ausschlaggebend für die Trennung sei, „die Mentalitäten“ hätten nicht zueinander gepasst.
Seitdem ist Sforza auch der Suche nach einem neuen Job, so soll er nach dem Abgang von Alois Schwartz 2016 auch bei Sandhausen im Gespräch gewesen sein. Ansonsten ist es still um ihn geworden. Sein Talent, sich geschickt in den Medien zu platzieren, wenn etwa in Kaiserslautern mal wieder ein Trainer gesucht wird, nutzt er anscheinend nicht mehr. Seine Internet-Domain ist gelöscht, Twitter und Facebook-Accounts werden schon lange nicht mehr aktualisiert. Es scheint, als habe er aufgegeben, sich irgendwo aufdrängen zu wollen.
DAS WARTEN AUF DIE NÄCHSTE CHANCE
Schade wär’s jedoch, wenn jemand mit so viel Sachverstand, so viel Leidenschaft und so viel Gespür für Fußball nirgendwo mehr eine Chance erhielte. Und dass er diese möglichst bald bekommt, sollten ihm gerade die Anhänger seiner Herzensvereine wünschen, denn für die hat er sich immer besonders ins Zeug gelegt.
Überlassen wir erneut Flurin Clalüna das Schlusswort über den verschmähten Kandidaten, der als Trainer angeblich „nix auf die Kette“ kriegte: „Sforza hat ein außergewöhnliches Gefühl für den Fussball, er spürt und sieht, was andere Trainer nicht einmal wahrnehmen. Wenn es ihm gelingt, sein Fußballverständnis auf seine Spieler zu übertragen, ist er ein ganz besonderer Coach, einer, der schon immer gesagt hat, er wolle als Trainer die gleichen Ziele erreichen wie als Spieler.“
erschienen auf blogvierzwei.de am 6.10.2017