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Foto: Thomas Hilmes/der-betze-brennt.de

"Den FCK betrachte ich mit Wehmut, weil ich weiß, was dort möglich ist"

 

Sieben Jahre ist es her, seit der 1. FC Kaiserslautern das letzte Mal „Aufstiegshelden“ feiern durfte. Trainer Marco Kurz führte 2009/2010 das Team um Rodnei, Sidney Sam, Srdjan Lakic, Erik Jendrisek zur Meisterschaft in der Zweiten Liga, darauf folgte eine erfolgreiche Erstligasaison, die auf Rang 7 endete, danach ging’s bergab und nicht mehr hinauf. Einer ragte aus der Truppe besonders  heraus, allein schon wegen seiner 1,94 Meter Körpergröße und seiner semmelblonden Haare: Für Martin Amedick, Abwehrchef und Leitfigur auf dem Platz und außerhalb, waren diese beiden Spielzeiten die erfolgreichsten seiner Karriere, in der er von 2004 bis 2006 auch beim kommenden Lautern-Gegner Eintracht Braunschweig unter Vertrag stand. Die für ihn ungewöhnlich viele Extreme bereithielt. Wie gnadenlos und schnell ein gefeierter Leistungsträger zum Bankdrücker und schließlich zum „Abschiebefall“ werden kann, hat er gleich mehrmals leidvoll erfahren, und es hat ihm zeitweise so stark zugesetzt, dass er psychologische Hilfe in Anspruch nehmen musste. Jetzt studiert er selbst Psychologie. Mit dem Blogwart sprach Martin Amedick über seine Beweggründe, ließ aber auch seine wechselvolle Karriere Revue passieren.

Hallo Martin, wie studiert es sich denn mit 34?

Na, ja, das ist schon was anderes als mit 18 und 19. Man ist zwar besser organisiert, aber es dauert eben länger, bis man alles im Kopf hat. Ich studiere in Bielefeld, wohne in meinem Geburtsort Delbrück, da brauch ich eine halbe Stunde bis zur Uni. Zuhause warten auf mich meine Frau, mein vierjähriger Sohn und unsere zwei großen Hunde, da herrscht nicht immer die Ruhe, die man zum Lernen braucht. Und der Lehrstoff ist ziemlich knackig. Dennoch will ich meinen Bachelor in acht Semestern schaffen und mich für meinen Master dann auf Sportpsychologie spezialisieren. Später mal bei einem Verein als Psychologe angestellt zu werden, vielleicht in einem Nachwuchsleistungszentrum – das würde mich sehr reizen.

Hast du den Entschluss, Psychologie zu studieren, gefasst, als du selbst unter einer Erschöpfungsdepression gelitten hast und Hilfe in Anspruch nehmen musstest?

Diese Zeit hat mich in meinem Entschluss sicherlich bestärkt. Ich habe allerdings schon früh in meiner Karriere mit, so hießen sie damals,  „Mentaltrainern“ zusammen gearbeitet. Ich bin in der Bielefelder Jugend groß geworden, da hab ich bald lernen müssen, dass das Pferd im eigenen Stall nicht so viel wert ist. In dem Zusammenhang haben mich auch immer wieder Muskelverletzungen zurückgeworfen. Der damalige Mentaltrainer Holger Fischer hat mir viel geholfen, alte Muster aufzulösen und einen größeren Selbstwert zu entwickeln – und ich habe gespürt, wie viel man in diesem Bereich bewegen kann. Mal selbst etwas in der Richtung zu machen, der Gedanke ging mir damals schon durch den Kopf.

Für die Robert-Enke-Stiftung hast du vor einiger Zeit, gemeinsam mit dem bekannten Sportjournalisten Ronald Reng, über „psychische Gesundheit im Nachwuchsleistungssport“ referiert. Werdet ihr das jetzt öfter machen?

Ja, genau, es sind weitere Termine in diesem Jahr geplant. Die Veranstaltung, die du ansprichst, war letztes Jahr im Oktober, ein Pilotprojekt mit den Nachwuchsleistungszentren von Hannover und St. Pauli. Und das Feedback, das wir bekommen haben, macht Lust auf mehr. Die Robert-Enke-Stiftung hat sich gefreut, mit mir einen ehemaligen Spieler, der durch eine psychische Erkrankung durchgegangen ist, als Referenten gefunden zu haben. Für mich ist es eine prima Sache, mit so einem erfahrenen Journalisten wie Ronald Reng die Vorträge zu halten und gleichzeitig weiter zu entwickeln. Außerdem kann ich sehr gut Kontakte zu den einzelnen Nachwuchsleistungszentren knüpfen. Die nächsten Veranstaltungen haben wir in Magdeburg und Leipzig geplant, auch andere Nachwuchsleistungszentren zeigen sich interessiert. Vereine, die Interesse haben, können gerne Kontakt mit der Robert-Enke-Stiftungaufzunehmen.

Die Öffentlichkeit hat von deiner Erschöpfungsdepression im Juli 2012 erfahren, als Eintracht Frankfurt dich vom Trainingsbetrieb freistellte und eine entsprechende Presseerklärung herausgab. In dem Bericht über deinen Vortrag ist allerdings zu lesen, dass du schon in deiner Lautrer Zeit unter ersten Symptomen littest. Wie hat sich das dargestellt?

Das war ein schleichender Prozess, da muss man die ganze Entwicklung sehen. Ich war 2008 in Dortmund, da wurde Jürgen Klopp Trainer und sagte mir klipp und klar, dass ich bei ihm keine Chance habe. Das war einerseits fair, andererseits: Ich hatte noch ein Jahr Vertrag, gerade kirchlich geheiratet und kurz nach der Hochzeit war mein Schwiegervater an Krebs gestorben – kein guter Zeitpunkt also, sich neu zu orientieren. Dann aber kam Lautern, ein Zweitligist, der wieder nach oben wollte. Das war ein Projekt, mit dem ich mich hundertprozentig identifizieren konnte, das sollte mein Verein werden. Es lief auch sehr gut, wir wurden im ersten Jahr unter Milan Sasic Siebter, dann Meister in der Zweiten Liga und spielten eine glänzende Aufstiegssaison. Auch Erfolg will erst einmal verkraftet werden. Ich war Kapitän, auch außerhalb des Platzes immer der erste Ansprechpartner, wollte für die Fans dasein, hab mich auch sozial engagiert – und ich bin ein Typ, der schlecht Nein sagen kann. Noch eine Tombola hier, noch eine Scheckübergabe da, da hab ich irgendwann schon gespürt, dass das alles zu viel werden könnte. Es hat mir aber auch alles eine Riesenfreude gemacht, von daher hatte ich in Kaiserslautern eigentlich noch nicht das Gefühl, es geht nicht mehr – auch dank der Hilfe meiner Frau und der Trainer.

Du hast dann aber deinen Stammplatz verloren und bist in der Winterpause 2011/12 ziemlich kurzfristig verkauft worden, am letzten Tag der Transferperiode…

Ach, dass ich vorübergehend mal weg war, hab ich eigentlich ganz gut verkraftet, ich bin dann ja auch wieder zurückkommen. Die letzten vier Spiele vor der Winterpause war ich jedoch wieder draußen. Wir waren 16., die Lage war noch nicht hoffnungslos, und unsere Probleme lagen eigentlich auch erkennbar nicht in der Abwehr. Aber die Verantwortlichen wollten Veränderungen und haben mir das deutlich zu verstehen gegeben. Also bin ich nach Frankfurt gewechselt. Mein Wunsch war das nicht.

Du hast dich dadurch nie von den Fans verabschieden können, mit denen du in den nur drei Jahren so viel erlebt hattest…

Ja, der Abschied kam sehr abrupt, das tat weh. Als ich aber im Sommer 2014 nach Paderborn wechselte, wollte es der Fußballgott, dass wir das erste Spiel gleich gegen Kaiserslautern bestritten. Und da haben mich die Lauterer Fans so herzlich empfangen, dass mich das ein wenig entschädigt hat. Das tat richtig gut.

Zurück deinem Wechsel nach Frankfurt Anfang 2012. Der Zusammenbruch kam ein paar Monate später…

Ja, auch da kamen mehrere Faktoren zusammen. Ich hatte erst zwei Trainingseinheiten absolviert und Armin Veh hat mir direkt vertraut und mich gleich von Beginn an gebracht, gegen Braunschweig. Leider war ich zu dem Zeitpunkt in keiner guten mentalen Verfassung. Wir gewannen zwar 2:1, aber ich verschuldete das Gegentor und war auch durch eine Muskelverletzung gleich wieder draußen. Ein paar Wochen später, gegen Cottbus, bekam ich die nächste Chance. Zur Halbzeit stand es 0:0, ich war präsent, zufrieden mit meinem Spiel, musste vor allem bei Ecken immer wieder per Kopf klären. In der Pause sagte mir Armin Veh aber, dass ich in der Kabine bleiben soll. Das war die überraschendste Auswechslung meiner Karriere. Ich versuchte, mich danach wieder im Training aufzudrängen, übertrieb es, verletzte mich erneut, während es bei der Mannschaft immer besser lief und sie schließlich den Aufstieg schaffte. Hinzu kam, dass wir noch immer in Kaiserslautern wohnten und ich pendelte, 240  Kilometer jeden Tag, auch das schlauchte mehr, als ich erwartet hatte. Erst im Mai fanden wir eine Wohnung im Taunus. Wir stemmten gerade den Umzug, als mich mein Berater anrief und mir mitteilte, dass der Verein plante, mich zu verkaufen. Das war dann endgültig zu viel, da habe ich gesagt, so kann ich nicht weitermachen, es geht nicht mehr.

Worauf du ein halbes Jahr freigestellt wurdest.

Ja, die Zeit habe ich auch gebraucht. Und ich muss sagen, ich bin froh, dass ich mir die Auszeit nicht in der Pfalz nehmen musste, denn in Frankfurt und Umgebung lebt es sich doch anonymer, da lässt es sich besser gesunden als in einem Umfeld, in dem du stets sofort erkannt wirst. An Lautern habe ich eigentlich nur positive Erinnerungen, nicht nur an den Klub und an die Fans, sondern auch an die Menschen in der Region. Zu unseren ehemaligen Vermietern in Otterberg haben wir noch guten Kontakt, auch zu den Züchtern unserer beiden Briards. Wir fahren immer noch regelmäßig in die Pfalz, um unsere Freunde zu treffen, zwei Mal im Jahr mindestens.

Du hast dich damals auch bei Mama/Papa hat Krebs engagiert, dein aktueller Nachfolger als Pate ist Tim Heubach, der dir witziger Weise auch noch ziemlich ähnlich sieht…

Ja, das freut mich sehr. Nach mir fungierten ja auch schon Marc Torrejon und Willi Orban als Paten, denen bin ich dafür ebenfalls sehr dankbar. Zur Leiterin des Projekts habe ich noch Kontakt, zu Tim Heubach leider noch nicht. Die Fluktuation im Lautrer Spielerkader war halt sehr groß, zwei Jahre, nach dem ich weg war, war da keiner mehr, den ich noch aus meiner aktiven Zeit kannte, der letzte war Tobi Sippel, der jetzt in Gladbach ist. Über die Entwicklung von „Papa/Mama hat Krebs“ freue ich mich sehr, da haben wir eine Einrichtung geschaffen, die Jugendlichen in der schwierigen Situation, in der sie sich befinden, wirklich etwas geben kann.

Zurück zum Fußball. Das Kapitel Paderborn endete für dich auch nicht glücklich.

In Frankfurt hatte ich nach meiner Auszeit keine Einsätze mehr bekommen. Als ich nach Paderborn wechselte, war ich 18 Monate ohne Spielpraxis. Trainer André Breitenreiter brachte mich dennoch sofort. Die ersten beiden Punktspiele gingen verloren, auch das anschließende Pokalspiel. Da geriet der Trainer direkt unter Druck. Ich musste raus, und mit der Erfahrung von meinen vorherigen Stationen war mir sofort klar: Wenn es ohne dich jetzt läuft, bist du wieder außen vor. So kam es dann auch. Ich hab wirklich gut trainiert, der Coach hat mir auch bestätigt, dass er öfters überlegte, mich aufgrund meiner Leistungen zu bringen – aber die Gelegenheit ergab sich einfach nicht. Am Ende stieg Paderborn auf, und ich, der Spieler mit den meisten Erstligaspielen im Kader, gehörte zu denen mit den wenigsten Einsätzen. Da haben sie mich in die Zweite Mannschaft abgeschoben, die sechstklassig spielte, da kann man sich nicht groß profilieren. Wenn ich erst 24 gewesen wäre, hätte ich gesagt, ich wechsle, aber wir waren seit einem Jahr wieder in unserer Heimat, ich hatte einen kleinen Sohn und meine Frau steckte mitten im Referendariat. Ein Wechsel stand also nicht zur Debatte. Daher trainierte ich die eine Saison noch bei den Amateuren und beendete danach meine Karriere. Parallel zum Training der Amateurmannschaft konnte ich so auch schon mit meinem Studium beginnen.

Wie schaust du Fußball heute?

Um am Wochenende Live-Spiele sehen zu können, habe ich keine Zeit. Ich schau mir meistens die Zusammenfassungen an. Unter der Woche guck ich öfter mal Champions League, einmal in der Saison versuche ich, mit Freunden zu einem Champions League-Spiel in Dortmund zu gehen. Aber ich betrachte mir natürlich aufmerksam die Ergebnisse, so dass ich immer im Bilde bin, gerade, was meine ehemaligen Vereine angeht. Der Absturz von Paderborn ist natürlich ungeheuerlich. Dafür freue ich mich über Eintracht Braunschweig, ein toll geführter Verein, der genau auf die Kontinuität setzt, über die andere immer nur reden, und der diese Saison wieder eine gute Rolle spielt. Und Lautern? Klar, das betrachte ich mit Wehmut, gerade, weil ich weiß, was dort möglich ist. Aber in der Zweiten Liga wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, den Anschluss an die Spitze zu halten. Und wenn du drei Mal hintereinander den Aufstieg so knapp verpasst hast…

Wie siehst du die Entwicklung im Fußball? Die Kommerzialisierung nimmt immer groteskere Ausmaße an. Ist der Druck, gerade auf junge Spieler, noch größer geworden?

Ich kann mir schon vorstellen, dass es für sie noch schwieriger geworden ist, sich nur noch auf das Geschehen auf dem Platz zu konzentrieren. Was ich sehr kritisch sehe, ist das Überangebot, das permanent größer wird, vor allem, weil die Wettbewerbe immer weiter aufgebläht werden. Und wie mit den Fans umgegangen wird, etwa, was die Anstoßzeiten angeht. Ich kann auch nicht verstehen, weshalb Vereine, die gerade abgestiegen sind, die Ticketpreise nicht herabsetzen, sondern zum Teil sogar noch erhöhen. Ewald Lienen hat das neulich sehr schön gesagt: Die Vereine sehen nicht mehr, was die Fans auf sich nehmen, um ihrer Mannschaft nahe sein zu können.

In Kaiserslautern haben Trainer Norbert Meier und Sportdirektor Uwe Stöver in diesen Tagen ein „Mentalitätsproblem“ ausgemacht. Kannst du als angehender Psychologe eine Empfehlung aussprechen, wie sich das in den Griff kriegen lässt?

Einen guten Psychologen zeichnet vor allem aus, dass er sich nicht zu Ferndiagnosen hinreißen lässt. Ohne konkrete Hintergrundinformationen möchte ich mich daher nicht äußern. Auf jeden Fall werde ich den 1. FC Kaiserslautern weiter verfolgen und wünsche ihm und seinen Fans alles Gute.

Martin, vielen Dank für dieses Gespräch.

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